Sonntag, 13. Juli 2014

Die neue Fußgängerunterführung - wichtiger Mosaikstein beim Ausbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs


Es liegt schon eine gewisse Tragik hinter dieser Angelegenheit: Wenn Stuttgart 21-Befürworter sagen, dass der bestehende Stuttgarter Hauptbahnhof (Kopfbahnhof) sich heute veraltet und unmodern präsentiert, muss man ihnen zum Teil rechtgeben. Das Dumme ist nur, dass für diesen unbefriedigenden Zustand nichts anderes als das Projekt Stuttgart 21 verantwortlich ist. 

Hätte es das Projekt Stuttgart 21 nicht gegeben, hätte man spätestens in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit der Sanierung, Modernisierung und Erweiterung des Stuttgarter Kopfbahnhofs begonnen. Dann würde sich der Stuttgarter Kopfbahnhof heute bereits vollständig anders darstellen, auch wenn vielleicht das Ende der Fahnenstange bei den Erweiterungen und Modernisierungen noch nicht erreicht wäre.

Wie so etwas gehen kann, zeigt der Zürcher Hauptbahnhof, der in seinem Kern ja auch ein  Kopfbahnhof ist. Dieser Bahnhof wird seit Jahrzehnten Stufe um Stufe modernisiert und erweitert. Der Zürcher Hauptbahnhof präsentiert sich heute mit seinen 26 Gleisen möglicherweise als der modernste und leistungsfähigste Großstadtbahnhof Europas.

Wir wollen im heutigen Post in diesem Blog ein Detail der Modernisierung des Kopfbahnhofs herausgreifen. Das ist die Fußgängerunterführung zwischen den einzelnen Bahnsteigen des Kopfbahnhofs. Wir wollen hierbei sehen, wie das in Zürich gelöst ist und dann Schlussfolgerungen für den Stuttgarter Kopfbahnhof ziehen.


Möglicherweise gibt es zunächst eine gewisse Skepsis darüber, ob ein Kopfbahnhof überhaupt eine Fußgängerunterführung zwischen den Bahnsteigen braucht. Es wird doch beim Kopfbahnhof über den Querbahnsteig umgestiegen - und das auch noch barrierefrei ohne elektrische Hilfsmittel. Das ist richtig. Der Querbahnsteig reicht aber für einen Bahnhof, der nicht nur Quell- und Zielbahnhof, sondern ein wichtiger Eisenbahn-Knotenpunkt sein will, nicht aus. Da erinnere ich mich an einen - durchaus berechtigten - Einwand des Stuttgarter Alt-OB Schuster. Er sagte, dass im Kopfbahnhof beim Umsteigen Wege von bis zu über 800 Metern zurückzulegen sind. Das setzt sich zusammen aus max. 400 Metern von der Spitze eines Fernzugs bis zum Querbahnsteig, dann muss man eine gewisse Strecke entlang des Querbahnsteigs gehen, dann muss man am Zielbahnsteig wiederum bis zu 400 Meter zur Spitze des Fernzugs gehen.

Das Beispiel mag etwas übertrieben sein. Trotzdem beschreibt es das Problem des Kopfbahnhofs beim Umsteigen. Die Lösung des Problems liegt darin, dass der Kopfbahnhof eine oder zwei Fußgänger-Unterführungen bekommt, die ein schnelleres Umsteigen von Bahnsteig zu Bahnsteig ermöglichen. Damit zieht der Kopfbahnhof - was die Umsteigewege betrifft - mit den Durchgangsbahnhöfen gleich. Bis vor kurzem hatte auch der Stuttgarter Kopfbahnhof eine solche Fußgängerunterführung. Sie war allerdings alt, viel zu eng und unmodern. 

Betrachten wir uns jetzt mal einzelne Elemente einer Fußgängerunterführung beim Kopfbahnhof. Hierbei schauen wir jeweils zuerst, wie das in Zürich gelöst ist. Dann ziehen wir Schlussfolgerungen für den Stuttgarter Kopfbahnhof.

1. Anzahl der Fußgängerunterführungen
Der Zürcher Kopfbahnhof hat gleich zwei hochmoderne Fußgängerunterführungen zwischen den Bahnsteigen. Beide Fußgängerunterführungen sind jeweils ca. zehn mal so breit wie es die alte Fußgängerunterführung beim Stuttgarter Kopfbahnhof war. Die beiden Fußgängerunterführungen entzerren die Fahrgastströme und entlasten den Querbahnsteig.

Für den Stuttgarter Kopfbahnhof dürfte zunächst einmal eine Fußgängerunterführung ausreichen. Das hat seinen Grund schlichtweg darin, dass eben der Zürcher Hauptbahnhof ca. doppelt so viele Fahrgäste abfertigt wie der Stuttgarter Hauptbahnhof. Es dürfte ein wenig illusorisch sein, wenn man in Stuttgart und in Deutschland erwartet, dass dort die Menschen in absehbarer Zeit ebenso viel Zug fahren wie dies in der Schweiz der Fall ist.
Blick in eine der beiden Fußgängerunterführungen zwischen den Bahnsteigen des Zürcher Kopfbahnhofs: Breit, modern, übersichtlich, hell, kurze und direkte Wege.

2. Die Abgänge zu den Fußgängerunterführungen
Voraussetzung dafür, dass eine moderne Fußgängerunterführung eingerichtet werden kann, ist eine ausreichende Breite der Bahnsteige. Nur so ist ausreichend Platz vorhanden, um die Abgänge zur Unterführung einzurichten. Im Zürcher Kopfbahnhof sind die Bahnsteige ausreichend breit. Das wurde dort dadurch erreicht, dass man die Gleise paarweise zusammengelegt hat und auf die nicht mehr benötigten Gepäckbahnsteige verzichtet hat.

Das wäre dann beim Stuttgarter Kopfbahnhof auch der erste Modernisierungsschritt, dass man die nicht mehr benötigten Gepäckbahnsteige abreißt und die Gleise paarweise zusammenlegt. Dadurch kann man die Passagierbahnsteige auf ein Maß von ca. 11 Metern verbreitern. Das ist ausreichend, um moderne Abgänge zu einer modernen Fußgängerunterführung einzurichten.
Durch den Verzicht auf die nicht mehr benötigten Gepäckbahnsteige gelang es im Zürcher Kopfbahnhof, die Gleise jeweils paarweise zusammenzulegen. Dadurch konnten die Bahnsteige verbreitert werden. Dadurch wiederum war es möglich, auf den Bahnsteigen Abgänge zu den Fußgängerunterführungen unterzubringen. 

Einer der zahlreichen Abgänge zu den Fußgängerunterführungen auf den Bahnsteigen des Zürcher Kopfbahnhofs. Die Bahnsteige sind ausreichend breit, so dass auch auf Höhe der Abgänge genügend Platz auf den Bahnsteigen verbleibt.

3. Die Anordnung der Abgänge zu den Fußgängerunterführungen
Es gibt bei den Abgängen zur Fußgängerunterführung verschiedene Typen. Dazu gehören feste Treppen, Fahrtreppen, Aufzüge und Rampen. Hier gibt es nun im Zürcher Kopfbahnhof interessante Details zu sehen. Es sind jeweils mehrere Typen von Abgängen zu den einzelnen Fußgängerunterführungen vorhanden. Die einzelnen Abgänge sind jedoch nicht nebeneinander, sondern ausschließlich hintereinander, also in Längsrichtung der Bahnsteige versetzt, angeordnet. Dadurch bleibt seitlich neben den Abgängen stets ausreichend Platz auf den Bahnsteigen.

Die Fußgängerunterführung, die dem Querbahnsteig am nächsten liegt, hat auf jedem Bahnsteig nur zwei verschiedene Abgänge. Ein Abgang umfasst die feste Treppe, ein zweiter Abgang umfasst die Fahrtreppen. Aufzüge gibt es hier nicht. Denn es wird angenommen, dass für das barrierefreie Umsteigen (Rollstuhl, Kinderwagen) hier auf den Querbahnsteig ausgewichen werden kann.

Die Fußgängerunterführung, die relativ weit entfernt vom Querbahnsteig liegt, hat dagegen sogar vier verschiedene Abgänge. Zwei dieser Abgänge umfassen feste Treppen (aus den zwei unterschiedlichen Richtungen). Ein weiterer Abgang umfasst die Fahrtreppen. Der vierte Abgang ist schließlich der Aufzug. Auf Rampen wird bei beiden Fußgängerunterführungen verzichtet. Denn Rampen sind sehr lange und würden das Umsteigen eher behindern.
Zwei hintereinanderliegende Abgänge von einem Bahnsteig im Kopfbahnhof zu einer der beiden Fußgängerunterführungen im Zürcher Hauptbahnhof: Vorne ist ein Aufzug, dahinter befindet sich ein Treppenabgang.
Bahnsteigbereich im Zürcher Kopfbahnhof unmittelbar neben einem Treppenabgang zur Fußgängerunterführung: Dahinter sieht man einen Aufzug und nochmals dahinter sieht man einen weiteren Treppenabgang. 
Zwei hintereinanderliegende Abgänge zu einer der beiden Fußgängerunterführungen im Zürcher Kopfbahnhof: Links im Bild ist ein Abgang mit einer festen Treppe, rechts im Bild ist ein Abgang mit Fahrtreppen.

4. Die Fußgängerunterführungen als Wegeverbindung zwischen den an den Bahnhof angrenzenden Stadtteilen
Nun haben aber die beiden Fußgängerunterführungen im Zürcher Kopfbahnhof noch eine weitere, eine städtebauliche Funktion. Sie dienen als Wegeverbindung zwischen den auf beiden Seiten an den Kopfbahnhof angrenzenden Stadtteilen. Damit wird die Trennwirkung des Kopfbahnhofs maßgeblich gemildert. Um diese Funktion erfüllen zu können, müssen die Fußgängerunterführungen über den eigentlichen Bahnsteigbereich hinausreichen und bis zu den an den Bahnhof angrenzenden Straßen verlaufen. Teilweise trifft man beim Verlassen der Fußgängerunterführung sogar auf eine Haltestelle des Tram.

Dies wird selbstverständlich auch im Pflichtenheft für die neue Fußgängerunterführung im Stuttgarter Kopfbahnhof stehen. Diese Fußgängerunterführung muss unter dem bisherigen Südflügel (und unter einer zukünftigen neuen Südflügelbebauung) hindurchführen und bis auf die ehemalige Straße "Am Schlossgarten" reichen. Dort kann zukünftig eine Haltestelle einer neuen Stuttgarter Niederflurstraßenbahn ("Hauptbahnhof/Schlossgarten") eingerichtet werden. Auf der anderen Seite muss die neue Fußgängerunterführung im Stuttgarter Kopfbahnhof bis ins Europaviertel reichen.
In diesem Gebäude befindet sich nicht etwa eine Eckkneipe mit dem Namen Hauptbahnhof. Dies hier ist einer von mehreren Eingängen von den an den Zürcher Hauptbahnhof angrenzenden Stadtteilen zu einer der beiden Fußgängerunterführungen unter den Bahnsteigen des Kopfbahnhofs. Vom hier sichtbaren Eingang unterquert die Fußgängerunterführung zunächst eine Straße und gelangt dann unter das Areal des Kopfbahnhofs (im Bild im Hintergrund links).
Unmittelbar neben dem Zugang zu einer unter dem Zürcher Kopfbahnhof hindurchführenden Fußgängerunterführung befindet sich eine Tramhaltestelle. Damit werden der Querbahnsteig und die Haupthalle des Zürcher Hauptbahnhofs entlastet, indem Fahrgäste direkt von den Bahnsteigen des Kopfbahnhofs über die Fußgängerunterführung zum Tram gelangen können.

5. Verbindung zu weiteren Bahnhofsteilen
Von den Fußgängerunterführungen im Zürcher Kopfbahnhof kommt man einfach und mit kurzen Wegen zum viergleisigen Haltepunkt Hauptbahnhof der ersten Stammstrecke der S-Bahn. Ebenso kommt man einfach und auf kurzen Wegen zum viergleisigen Haltepunkt der neuen Durchmesserlinie (= zweite Stammstrecke der S-Bahn).

Dies wäre selbstverständlich auch in Stuttgart so einzurichten. Kurze und eindeutige Wege von der neuen Fußgängerunterführung zum S-Bahnhaltepunkt Hauptbahnhof sowie zu einer späteren, nach dem Zürcher Vorbild einzurichtenden Durchmesserlinie gehören zum Pflichtenheft der neuen Fußgängerunterführung im Stuttgarter Kopfbahnhof.       
Abgang von einer der beiden Fußgängerunterführungen im Zürcher Kopfbahnhof zu einem der Bahnsteige der neuen Durchmesserlinie (= 2. Stammstrecke der S-Bahn)
                       
Im folgenden Post in diesem Blog (voraussichtlich am 20.07.2014) beschäftigen wir uns dann näher mit der neuen Zürcher Durchmesserlinie unter dem Titel "Die neue Zürcher Durchmesserlinie - das vernünftige Gegenstück zu Stuttgart 21". In diesem Artikel werden wir dann auch ganz genau sehen, wie nach einem Stopp von Stuttgart 21 das Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie in Stuttgart umgesetzt werden kann. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.