Montag, 13. Juni 2016

Die Wendlinger Kurve - ein besonders anschauliches Studienobjekt zum Problemfall Stuttgart 21

Die Wendlinger Kurve ist ein Bestandteil und gleichzeitig eine der zahlreichen Engstellen von Stuttgart 21. Es gibt Hinweise darauf, dass die Engstelle Wendlinger Kurve zum Teil unfahrbar ist.

Am Beispiel der Wendlinger Kurve lässt sich das Problemprojekt Stuttgart 21 und seine zahlreichen politischen Verwicklungen besonders anschaulich studieren. Das wollen wir im Folgenden ansatzweise tun. 

Zunächst geht es darum, die Engstelle Wendlinger Kurve zu veranschaulichen. Dann soll kurz die Rolle des Stuttgart 21-Ideengebers Heimerl gestreift werden. Anschließend soll am Beispiel des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel die etwas merkwürdige Rolle gezeigt werden, die die Grünen beim Projekt Stuttgart 21 inzwischen einnehmen. Schließlich geht es um die Rolle des Bundes beim Projekt Stuttgart 21.


Der Engstelle Wendlinger Kurve veranschaulicht
Unter der Wendlinger Kurve versteht man die Überleitung von der Schnellfahrstrecke Flughafen-Ulm auf die Strecke Plochingen-Nürtingen und umgekehrt. Die Wendlinger Kurve gehört zum Projekt Stuttgart 21. Die Engstellensituation ergibt sich wie folgt:
  • Die Überleitung von der Strecke Flughafen-Ulm auf die Strecke Plochingen-Nürtingen bzw. umgekehrt ist nur eingleisig (Richtung und Gegenrichtung nutzen dasselbe Gleis).
  • Es gibt zudem eine höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der Relation Nürtingen-Flughafen und der Relation Flughafen-Ulm.
  • Eine weitere höhengleiche Gleiskreuzung besteht zwischen der Relation Flughafen-Nürtingen und der Relation Nürtingen-Plochingen.
  • Nachgeordnet, aber für die Gesamtbetrachtung der Engstellensituation ebenfalls relevant, ist die Zusammenführung der Relationen Ulm-Flughafen und Nürtingen-Flughafen auf ein Gleis.
  • Ebenso gibt es eine Zusammenführung der Relationen Flughafen-Nürtingen und Plochingen-Nürtingen auf ein Gleis.
Im Folgenden soll beispielhaft die Fahrbarkeit für die Relation von Nürtingen zum Flughafen untersucht werden. Es werden für die Spitzenstunden die folgenden Verkehre angenommen:
  • Drei ICE pro Stunde in der Relation Stuttgart-Ulm
  • Drei ICE pro Stunde in der Relation Ulm-Stuttgart
  • Ein IRE pro Stunde in der Relation Stuttgart-Ulm
  • Ein IRE pro Stunde in der Relation Ulm-Stuttgart
  • Zwei RE pro Stunde in der Relation Nürtingen-Flughafen
  • Zwei RE pro Stunde in der Relation Flughafen-Nürtingen.
Für die Plausibilitätsabschätzung müssen noch Annahmen zu den minimalen Zugfolgezeiten getroffen werden. Die minimale Zugfolgezeit wird hiermit sowohl für die Fahrt zweier Züge hintereinander auf demselben Gleis als auch für die Fahrt von zwei sich höhengleich kreuzenden Zügen mit drei Minuten angenommen. Das entspricht der minimalen Zugfolgezeit, wie sie beim Bahnknoten Stuttgart heute üblicherweise im Fahrplan vorhanden ist. In den drei Minuten der minimalen Zugfolgezeit ist auch ein erster Verspätungspuffer von ca. einer halben Minute enthalten. Die Zugsicherung alleine würde eine noch etwas kleinere Zugfolge erlauben, die bei Verspätungen dann auch genutzt werden kann, um im Fahrplan wieder ein wenig aufzuholen.

Für die Plausibilitätsbetrachtung wählen wir die Fahrtenlagen der Züge im Verlauf der Schnellfahrstrecke Stuttgart-Ulm frei. Die später mal gefahrenen Fahrtenlagen können selbstverständlich auch ganz andere sein. Dadurch kann die Situation bei der Wendlinger Kurve besser, aber auch noch schlechter werden. Der genaue örtliche Betrachtungspunkt ist die höhengleiche Gleiskreuzung bzw. die Vereinigungsweiche im Verlauf der NBS.

Fangen wir also mit der Plausibilitätsbetrachtung der Fahrbarkeit der Wendlinger Kurve für die RE-Züge von Nürtingen zum Flughafen an. Das tun wir dadurch, dass wir Stufe um Stufe diejenigen Zeitbereiche festlegen, während denen die RE-Züge von Nürtingen zum Flughafen nicht fahren können. Zum Schluss wäre dann zu schauen, ob überhaupt noch Zeiten übrigbleiben, während denen diese Züge fahren können.

1. Stufe: Berücksichtigung der drei ICE pro Stunde der Relation Ulm-Stuttgart
Die Durchfahrtszeiten dieser Züge bei der Wendlinger Kurve (Fahrtenlagen) werden zu den folgenden Minuten angenommen:
Minute 10
Minute 30
Minute 50
Drei Minuten vor bis drei Minuten nach dieser Durchfahrtszeit können die RE Nürtingen-Flughafen nicht fahren (minimale Zugfolgezeit). Das wären also diese Zeitbereiche:
Minute 7 bis Minute 13, Minute 27 bis Minute 33, Minute 47 bis Minute 53.

2. Stufe: Berücksichtigung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von ICE und RE
Die ICE fahren mit 250 km/h. Die RE fahren bei der Wendlinger Kurve mit max. 100 km/h, beschleunigen dann auf max. 140 km/h und bremsen bei der Ausschleifung zum Flughafen wieder ab. Wir haben es hier also mit einem klassischen Mischbetrieb zu tun, der aus unterschiedlich hohen Fahrgeschwindigkeiten resultiert. Wegen der langsameren Geschwindigkeit der RE dürfen diese nicht unmittelbar vor einem ICE von Ulm auf die Strecke Richtung Stuttgart einfahren. Sonst würde der ICE ja auf den vorausfahrenden RE auffahren und auf der freien Strecke anhalten müssen. Es ergibt sich über die drei Minuten Mindestzugfolgeabstand hinaus ein zusätzlicher Abstand von ca. 4 Minuten, den die RE mindestens vor einem ICE in die Strecke Richtung Flughafen-Hauptbahnhof einfahren müssen. Hierbei wird angenommen, dass die RE die Schnellfahrstrecke beim Flughafen zunächst wieder verlassen, um den Flughafenbahnhof anzufahren.
Die bei Stufe 1 genannten Zeitbereiche erweitern sich dadurch wie folgt auf:
Minute 3 bis Minute 13, Minute 23 bis Minute 33, Minute 43 bis Minute 53.  

3. Stufe: Berücksichtigung der drei ICE pro Stunde der Relation Stuttgart-Ulm
Die Durchfahrtszeiten dieser Züge bei der Wendlinger Kurve (Fahrtenlagen) werden zu den folgenden Minuten angenommen:
Minute 00 = Minute 60
Minute 20
Minute 40
Drei Minuten vor bis drei Minuten nach dieser Durchfahrtszeit können die RE Nürtingen-Flughafen wegen der höhengleichen Gleiskreuzung nicht fahren (minimale Zugfolgezeit). Das wären also diese Zeitbereiche:
Minute 57 bis Minute 3, Minute 17 bis Minute 23, Minute 37 bis Minute 43.

4. Stufe: Berücksichtigung des IRE der Relation Ulm-Stuttgart
Der IRE kann Ulm frühestens drei Minuten nach der Abfahrt des ICE verlassen. Es wird angenommen, dass der ICE zwischen Ulm und Wendlingen mit 250 km/h und der IRE mit 160 km/h fährt. Somit benötigt der IRE zwischen Ulm und der Wendlinger Kurve ca. 8 Minuten mehr Fahrzeit (ohne Berücksichtigung eines Bahnhofs Merklingen). Der IRE von Ulm erreicht somit die Wendlinger Kurve ca. 11 Minuten nach einem von Ulm kommenden ICE. Wir legen die Fahrtenlage des IRE hinter die Fahrtenlage des ICE, der zur Minute 10 bei der Wendlinger Kurve ist. Der IRE wäre somit zur Minute 21 bei der Wendlinger Kurve.
Damit ergibt sich ein weiterer Zeitbereich zwischen Minute 18 und Minute 24, während der der RE von Nürtingen zum Flughafen bei der Wendlinger Kurve nicht fahren kann. Dieser Zeitbereich muss noch um ca. zwei Minuten erhöht werden, weil der mit nur 80 bis 100 km/h in der Wendlinger Kurve und ebenfalls nur ca. 100 km/h bei der Ausschleifung Flughafen  fahrende RE einen größeren Abstand als 3 Minuten vor dem mit 160 km/h von Ulm kommenden IRE einhalten muss.
Damit ergibt sich ein Zeitbereich von Minute 16 bis Minute 24.

5. Stufe: Berücksichtigung des IRE der Relation Stuttgart-Ulm
Der IRE hält am Flughafen und kann frühestens 3 Minuten nach der Durchfahrt des vorausfahrenden ICE sich in die Schnellfahrstrecke vom Flughafen nach Wendlingen und Ulm einfädeln.  Es wird angenommen, dass der ICE zwischen dem Flughafen und der Wendlinger Kurve mit 250 km/h und der IRE mit 160 km/h fährt. Somit benötigt der IRE zwischen dem Flughafen und der Wendlinger Kurve ca. 2 Minuten mehr Fahrzeit. Der IRE vom Flughafen erreicht somit die Wendlinger Kurve ca. 5 Minuten hinter einem von Stuttgart kommenden ICE. Wir legen die Fahrtenlage des IRE Richtung Ulm hinter die Fahrtenlage des ICE, der zur Minute 00 bei der Wendlinger Kurve durchfährt. Der IRE wäre somit zur Minute 5 bei der Wendlinger Kurve.
Damit ergibt sich ein weiterer Ausschluss-Zeitbereich für den RE Nürtingen-Flughafen von Minute 2 bis Minute 8. 

6. Stufe: Berücksichtigung der beiden RE-Züge pro Stunde der Relation Flughafen-Nürtingen
Diese beiden RE-Züge pro Stunde sollen möglichst im Halbstundentakt fahren. Das ist gar nicht so einfach, weil sie sich die Strecke vom Flughafen zur Wendlinger Kurve mit den drei ICE pro Stunde und dem IRE teilen müssen.

Da kommen nur noch ganz wenige Fahrtenlage in Frage. Eine noch mögliche Fahrtenlage ist, dass die beiden RE zu den Minuten 16 und 46 bei der Wendlinger Kurve sind. Das wären 4 Minuten vor dem zur Minute 20 vorbeifahrenden ICE (also bereits ganz schön knapp, weil ja hinter dem RE die Weiche und Fahrstraße für den ICE umgestellt werden muss) und 6 Minuten hinter dem zur Minute 40 vorbeifahrenden ICE (das geht gerade noch, wenn man den Mindestabstand und die unterschiedlichen Fahrzeiten zwischen Flughafen und Wendlinger Kurve berücksichtigt). 

Ein RE Flughafen-Nürtingen schließt den Gegenverkehr Nürtingen-Flughafen wegen der eingleisigen Strecke für mindestens 8 Minuten aus (Denn es gibt hier ja nicht nur eine höhengleiche Gleiskreuzung, sondern auch noch eine längere eingleisge Strecke). Damit ergeben sich weitere Zeitausschlüsse für den RE Nürtingen-Flughafen von Minute 13 bis Minute 21 und von Minute 43 bis Minute 51.

Fazit: Fügt man die Ausschluss-Zeitbereiche zusammen (sie überlappen sich sogar teilweise), ergeben sich nur noch ganz kleine Zeitlücken, während denen ein RE Nürtingen-Flughafen bei der Wendlinger Kurve fahren könnte. Das sind konkret die Zeitbereiche zwischen den Minuten 33 und 37 (vier Minuten) sowie 53 und 57 (vier Minuten). Diese beiden Zeitbereiche sind nicht symmetrisch. Ein Halbstundentakt für die RE Nürtingen-Flughafen kann damit nicht hergestellt werden. Des weiteren ist es sehr fraglich, ob die beiden noch verfügbaren Zeitbereiche den Fahrtenlagen der RE Nürtingen-Flughafen entsprechen, wie sie wegen anderweitiger Verknüpfungen dieser RE notwendig sind. Bereits bei kleinsten Verspätungen kommt es zudem dazu, dass Züge vor der Wendlinger Kurve auf der freien Strecke anhalten müssen und später dann wieder aus dem Stand losfahren müssen. Eine Konstellation wie gerade beschrieben muss als unfahrbar bezeichnet werden.    

Welche Rolle spielt Stuttgart 21-Ideengeber Heimerl?
Nun hat Stuttgart 21-Ideengeber Heimerl (als Erfinder von Stuttgart 21 will er sich ja nicht bezeichnen) bei einem Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten vom 18.04.2016 einen sofortigen zweigleisigen und möglicherweise höhenfreien Ausbau der Wendlinger Kurve gefordert (siehe auch den Post vom 19.04.2016 in diesem Blog).

Hierzu stellen sich Fragen. Warum hat Heimerl einen engstellenfreien Ausbau der Wendlinger Kurve wie auch die Beseitigung zahlreicher anderer Engstellen bei Stuttgart 21 nicht von Anfang an, also ab spätestens 1994 gefordert? Warum hat Heimerl nicht von Anfang an von einer Umsetzung von Stuttgart 21 abgeraten, solange die größten Engstellen nicht beseitigt werden? Waren Heimerl die Engstellen anfangs gar nicht bewusst? Sind Heimerl diese Engstellen erst durch die Arbeit der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 bekannt geworden? Oder hat Heimerl die Engstellen verschwiegen, bis aus seiner Sicht das Projekt Stuttgart 21 einen gewissen Zustand der Unumkehrbarkeit erreicht hat? Was auch immer zutrifft, es wäre nicht gut. 

Was bezweckt Matthias Gastel mit seinen Forderungen nach Bundesmitteln für einen Ausbau der Wendlinger Kurve?
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel hat in einer Anfrage an die Bundesregierung den zweigleisigen Ausbau der Wendlinger Kurve gefordert. Der Bund hat diese Anfrage Anfang Juni 2016 abschlägig beschieden.

Letztendlich spricht sich Gastel mit seiner Anfrage an die Bundesregierung dafür aus, dass weitere Mittel der öffentlichen Hand in das Projekt Stuttgart 21 gesteckt werden, das doch ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn ist. Dabei wird diese Eigenwirtschaftlichkeit des Projekts für die Bahn bereits jetzt nur dadurch erreicht, dass Land, Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Stuttgarter Flughafen eine Riesensumme an die Bahn zahlen. Diese Zahlungen sind möglicherweise als solche bzw. der Höhe nach verfassungswidrig. Die Eigenwirtschaftlichkeit für die Bahn ist wegen eingetretener Kostenexplosionen zudem inzwischen fragwürdig geworden.

Gastel macht mit seiner Anfrage möglicherweise ungewollt deutlich, dass die Riesensummen, die die öffentliche Hand bereits für das eigenwirtschaftliche Projekt Stuttgart 21 zu geben gewillt ist, immer noch nicht ausreichen. Die Anfrage von Gastel weist auch auf einen anderen Problempunkt des eigenwirtschaftlichen Projekts hin. Die Bahn wird stets bemüht sein, im Rahmen dieses eigenwirtschaftlichen Projekts nur gerade so viel Infrastruktur zu bauen, dass es für ihre - ebenfalls eigenwirtschaftlich zu betreibenden - ICE und IC und vielleicht noch für ein paar Regionalzüge reicht. Ob konkret die RE-Züge über die Wendlinger Kurve richtig fahren können, ist nicht unbedingt das Interesse der Bahn, zumal die Bahn wegen der Ausschreibungen im Schienennahverkehr diese RE-Züge vielleicht gar nicht mehr selbst fährt.  

Warum bleibt Matthias Gastel stumm, wenn es um die Nennung der zahlreichen weiteren Engstellen von Stuttgart 21 geht?
Nun ist die Wendlinger Kurve ja bekanntlich nur eine von vielen Engstellen bei Stuttgart 21. Es gibt zahlreiche weitere Engstellen, die zum Teil in derselben Liga spielen wie die Engstelle Wendlinger Kurve. Dazu gehören die neuen höhengleichen Gleiskreuzungen beim Bahnhof Plochingen, die neuen höhengleichen Gleiskreuzungen und eingleisigen Abschnitte zwischen Bad Cannstatt und Nürnberger Straße, die neuen höhengleichen Gleiskreuzungen mit eingleisigem Bahnhof und mehrfachem Mischbetrieb S-Bahn/Fernzüge zwischen S-Rohr und dem Flughafen, die weiterhin nur zweigleisige Hauptzufahrt Zuffenhausen sowie nicht zuletzt der Hauptbahnhof selbst.

Warum sagt Gastel zu all diesen Engstellen nichts? Macht er das deshalb, weil dann der Murks Stuttgart 21 jedermann offensichtlich würde? Darf er dies nicht, weil das der Parteilinie der Grünen widerspricht? Traut er sich nicht, die Flughafen-Engstellen anzusprechen, weil sein Parteikollege, Verkehrsminister Hermann, daran inzwischen mitbeteiligt ist?

Es gibt ja auch in der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 den einen oder die andere, die die Aktivitäten Gastels in Sachen Stuttgart 21 mit Wohlwollen verfolgen. Hier werden wohl Enttäuschungen vorprogrammiert sein. Das Eintreten für Verbesserungen beim Projekt Stuttgart 21 macht dieses Projekt einerseits noch teuer als es sowieso schon ist. Es verzögert auch den alternativlosen Ausstieg aus Stuttgart 21 weiter und richtet dadurch einen immer größeren Schaden an. 

Welche Rolle spielt der Bund bei Stuttgart 21? 
Der Bund hat also vor kurzem eine weitere finanzielle Beteiligung an Stuttgart 21 und konkret an der Wendlinger Kurve abgelehnt. Versetzen wir uns einfach mal in die Rolle des Bundes.

Der Bund ist für den Ausbau des Schienennetzes zuständig. Das ist eine hoheitliche Aufgabe. Der Bund ist somit auch für den Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm und des Bahnknotens Stuttgart zuständig. Bis Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Welt diesbezüglich auch für den Bund noch in Ordnung. Der Bund plante zusammen mit der Bahn den etappierbaren Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm von Ulm her kommend zunächst mal bis Plochingen. Der Weiterbau und der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart wären zu einem späteren Zeitpunkt auf der Agenda gestanden.

Dann kam zunächst mal Heimerl mit seiner H-Trasse (heutige NBS Wendlingen-Ulm) und lobbiierte erfolgreich bei der Politik für eine Abkehr von den bisherigen Planungen und einen Neustart, der im Nachhinein betrachtet mit Jahrzehnten Zeitverzug verbunden war. Später kamen dann die vier sehr schlauen Schwaben (der frühere Ministerpräsident Teufel, der inzwischen verstorbene frühere Stuttgarter OB Rommel, der frühere Bundesverkehrsminister Wissmann und der frühere Chef der damals gerade erst "privatisierten" Bahn, Dürr) und spuckten dem Bund auch noch in Sachen Ausbau des Bahnknotens Stuttgart in die Suppe. Nicht mehr der Bund sollte später mal den Ausbau angehen, sondern der Ausbau sollte im Rahmen eines eigenwirtschaftlichen Projekts der Bahn, mit zahlreichen staatlichen Zuschüssen versüßt, stattfinden.

Der Bund hätte mit dem Bahnknoten Stuttgart vielleicht etwas ganz anderes vorgehabt. Zunächst mal war der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart gar nicht so dringend. Jedenfalls gab und gibt es in Deutschland viel wichtigere Bahnprojekte. Wenn dann der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart auf der Agenda gestanden hätte, hätte der Bund möglicherweise darauf geachtet, dass auch in Stuttgart der Deutschland-Takt gefahren werden kann. Das erfordert die Beibehaltung des Kopfbahnhofs und zahlreiche Bahnsteiggleise. Dann hätte der Bund mit Sicherheit zwei weitere Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen geplant, ebenso wie für die Zufahrt Bad Cannstatt, möglicherweise zusammengefasst in einer neuen Durchmesserlinie, usw. Der Ausbau wäre zudem etappierbar in kleinen Schritten vonstatten gegangen, etwa so, wie das auch über die Jahrzehnte hinweg mit dem Stuttgarter Stadtbahnnetz geschehen ist.

Das alles konnte der Bund aber nicht tun. Der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart wurde ihm aus den Händen genommen. Die hoheitliche Aufgabe des Ausbaus der Bahninfrastruktur wurde abgelöst durch ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn, das von der Immobilienwirtschaft und der Automobilindustrie gefordert und kräftig gefördert wurde. Kann man vor diesem Hintergrund den Bund dafür kritisieren, dass er nicht bereit ist, für Stuttgart 21 und speziell für die Wendlinger Kurve Geld zu geben?

Das Problem wird nur durch den Stopp von Stuttgart 21 gelöst           
Die Wendlinger Kurve zeigt somit im Kleinen das Problem Stuttgart 21. Wer die Wendlinger Kurve verstanden hat, hat auch Stuttgart 21 verstanden. Einen Ausweg aus dieser Misere kann man nicht dadurch finden, dass man noch mehr öffentliche Gelder für Stuttgart 21 fordert. Einen Ausweg kann es nur geben, wenn man in Stuttgart endlich wieder zur Normalität zurückfindet und die Außenseiterrolle in Deutschland und Europa aufgibt. 

Diese Normalität bedeutet, dass der Ausbau der Bahninfrastruktur in BW und in Stuttgart eine Aufgabe des Bundes ist und nicht einer Aktiengesellschaft anvertraut werden darf. Das erfordert den Stopp von Stuttgart 21 und den Einstieg in den etappierbaren Ausbau (die Betonung liegt auf Ausbau) des Bahnknotens Stuttgart. Je früher dies geschieht, desto besser kann man den Schaden, den Stuttgart 21 bereits angerichtet hat, begrenzen. Das eine oder andere Element von Stuttgart 21 kann selbstverständlich auch für den etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart herangezogen werden.                     

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