Donnerstag, 10. März 2016

Stuttgart 21 verhindert die Beseitigung von Taktlücken im Stuttgarter S-Bahnnetz

Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2015 wurde die Fahrtenlage der Intercityzüge Stuttgart-Zürich und zurück verändert. Das hat auch Auswirkungen auf den S-Bahntakt zwischen Böblingen und Herrenberg, wo sich die Fernzüge und die S-Bahnzüge die Gleise teilen müssen. Die Taktlücken beim 15-Minuten-Takt der S-Bahn zwischen Böblingen und Herrenberg haben sich jetzt zeitlich verschoben. Ohne Stuttgart 21 wäre zwischen Böblingen und Herrenberg längst das dritte Gleis gebaut, mit dessen Hilfe die Taktlücken bei der S-Bahn beseitigt wären.

Während der Zeiträume, in denen zwischen Böblingen und Herrenberg der zweistündlich fahrende IC Stuttgart-Zürich bzw. Zürich-Stuttgart fährt, kann dort kein S-Bahnzug fahren. Das führt dazu, dass während dieser Zeiträume die S-Bahn nicht alle 15 Minuten, sondern nur mit einem Abstand von 30 Minuten fahren kann.

Das sieht dann im Detail wie folgt aus:


Abfahrtszeiten der S1 in Böblingen Richtung Herrenberg (Jahresfahrplan 2016):
vormittags 15 Minuten-Takt
5:59, 6:14, 6:29, 6:44, 6:59, 7:14, 7:29, 7:44, 7:59, 8:14, 8:29, Taktlücke: um 8:44 fährt keine S-Bahn (wegen IC Stuttgart-Zürich ab 8:29 in S-Hbf), 8:59 

nachmittags 15 Minuten-Takt
14:59, 15:14, 15:29, 15:44, 15:59, 16:14, 16:29, Taktlücke: um 16:44 fährt keine S-Bahn (wegen IC Stuttgart-Zürich ab 16:24 in S-Hbf), 16:59, 17:14, 17:29, 17:44, 17:59, 18:14, 18:29, Taktlücke: um 18:44 fährt keine S-Bahn (wegen IC Stuttgart-Zürich ab 18:29 in S-Hbf), 18:59, 19:14, 19:29, 19:44, 19:59

Abfahrtszeiten der S1 in Herrenberg Richtung Stuttgart (Jahresfahrplan 2016):
vormittags 15 Minuten-Takt
4:46, 5:01, 5:16, 5:31, 5:46, 6:01, 6:16, 6:31, 6:46, 7:01, 7:16, 7:31, 7:46, 8:01, 8:16, 8:31, 8:46, Taktlücke: um 9:01 fährt keine S-Bahn (wegen IC Zürich-Stuttgart ab 8:46 in Horb), 9:16

nachmittags 15 Minuten-Takt
14:46, Taktlücke: um 15:01 fährt keine S-Bahn (wegen IC Zürich-Stuttgart ab 14:46 in Horb), 15:16, 15:31, 15:46, 16:01, 16:16, 16:31, 16:46, Taktlücke: um 17:01 fährt keine S-Bahn (wegen IC Zürich-Stuttgart ab 16:46 in Horb), 17:16, 17:31, 17:46, 18:01, 18:16, 18:31, 18:46, Taktlücke: um 19:01 fährt keine S-Bahn (wegen IC Zürich-Stuttgart ab 18:46 in Horb), 19:16
   
Vor der Fahrplanumstellung im Dezember 2015 befanden sich die Taktlücken der S-Bahn noch an anderer Stelle. So waren die Taktlücken ab Böblingen in Richtung Herrenberg um 8:14, um 16:14 und um 18:14. Ab Herrenberg in Richtung Stuttgart befanden sich die Taktlücken um 15:32 und um 17:32. (Siehe hier auch den Post vom 22.02.2015 in diesem Blog).

Taktlücken bei der S-Bahn haben vielfältige negative Auswirkungen
Was ist nun an diesen Taktlücken so schlimm? Es sind in der Tat eine Reihe von Punkten, die diesbezüglich angesprochen werden müssen.

Für Berufspendler, Schüler und Studenten ergeben sich fallweise Erschwernisse. Diese Fahrgäste müssen morgens ggf. 15 Minuten früher aufstehen und eine frühere S-Bahn nehmen, wenn ihr Fahrtwunsch gerade in eine der Taktlücken fällt. Nachmittags oder abends müssen diese Fahrgäste ggf. 15 Minuten länger am Bahnsteig warten, wenn ihr Fahrtwunsch bezüglich des Nachhausewegs gerade in eine Taktlücke fällt. Wäre man zynisch, würde man diesen Fahrgästen raten, doch eine Viertel Stunde länger zu arbeiten.

Gelegenheits-Fahrgäste, die den Fahrplan der S-Bahn nicht kennen, laufen Gefahr, bei ihrer Fahrt in eine der Taktlücken zu geraten. War dies einmal der Fall, werden es sich diese Fahrgäste das nächste Mal zweimal überlegen, ob sie nicht an Stelle der S-Bahn doch lieber das Auto nehmen.

Gelegenheits-Fahrgäste, die den Fahrplan der S-Bahn nicht kennen, jedoch grundsätzliche Kenntnis von den Taktlücken haben, werden von vornherein lieber das Auto als die S-Bahn nehmen, weil sie sich der Gefahr des Hineinfallens in eine Taktlücke nicht aussetzen wollen.

Der Zeitraum, während dem die Taktlücken stattfinden, ändert sich zudem immer mal wieder, wie jetzt erst zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015. Das führt dazu, dass immer wieder andere Fahrgäste von den Taktlücken betroffen werden.

Derjenige S-Bahnzug, der als erstes nach dem Ablauf einer Taktlücke fährt, ist zudem überdurchschnittlich voll. Denn dieser Zug muss ja gleich zwei Fahrgastgruppen transportieren. Einmal diejenigen Fahrgäste, die genau diesen Zug nutzen wollen. Und zum anderen diejenigen Fahrgäste, die eigentlich den wegen der vorhergehenden Taktlücke ausgefallenen Zug nutzen wollten. Das führt zu einer tendenziellen Überfüllung dieses Zugs mit Folgen für die Pünktlichkeit und den Komfort für die Fahrgäste.

Die wegen des Mischbetriebs IC / S-Bahn erforderlichen Taktlücken haben somit negative Auswirkungen auf das gesamte S-Bahnsystem wie auch auf den gesamten öffentlichen Nahverkehr, die weit über die Zeiträume und die Strecken hinausgehen, während denen und bei denen die Taktlücken bestehen.

Das dritte Gleis Böblingen-Herrenberg bringt Vorteile für die S-Bahn und den IC
Ein drittes Gleis zwischen Böblingen und Herrenberg ermöglicht es, die S-Bahnzüge zwischen Böblingen und Herrenberg ohne Taktlücken alle 15 Minuten fahren zu lassen. Gleichzeitig können die IC-Züge Stuttgart-Zürich und zurück sogar jede Stunde fahren, ohne dass sie von S-Bahnen behindert werden.

Dieses dritte Gleis ist - wie auch eine Reihe anderer Ausbaumaßnahmen im Schienennetz der Region Stuttgart - bisher nicht gebaut worden. Wird weiter am Projekt Stuttgart 21 herumgewerkelt, würde es zudem noch 15 bis 20 Jahre dauern, bis ein solches drittes Gleis gebaut würde.

40 Jahre Verzögerung wegen Stuttgart 21
Das Projekt Stuttgart 21 wurde im Jahr 1994 mit einem Überraschungseffekt der Öffentlichkeit präsentiert. Die Vorarbeiten hinter den Kulissen für das Projekt liefen seit mindestens Ende der Achtziger Jahre. Ohne Stuttgart 21 wäre die Region Stuttgart beim Ausbau ihres Schienennetzes den normalen Weg gegangen, wie ihn praktisch alle anderen Regionen in Europa gehen. Dann hätte es gute Chancen gegeben, dass z.B. das dritte Gleis Böblingen-Herrenberg in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts fertiggestellt worden wäre. Wird Stuttgart 21 weiterbetrieben, ist an das dritte Gleis Böblingen-Herrenberg vielleicht in den Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts zu denken. Daraus ergibt sich eine Verzögerung von ca. 40 Jahren.

Dasselbe gilt für viele andere Ausbauprojekte in der Region Stuttgart, die ohne Stuttgart 21 schon längst auf dem Weg bzw. fertiggestellt wären, z.B. das dritte Gleis Waiblingen-Schorndorf, das dritte Gleis Waiblingen-Backnang, das fünfte und sechste Gleis Bad Cannstatt-Hauptbahnhof, die Express-S-Bahn Flughafen-Wendlingen-Plochingen, die Express-S-Bahn Flughafen-Nürtingen-Reutlingen, die Express-S-Bahn Flughafen-S-Vaihingen-Hauptbahnhof und meinetwegen auch eine Durchmesserlinie für den Fernverkehr sowie einige Projekte mehr.

Lediglich der Regionalbahnhof Stuttgart-Vaihingen wird jetzt trotz Stuttgart 21 noch in diesem Jahrzehnt gebaut - allerdings ebenfalls mit einer ca. 20jährigen Verspätung. Es ist durchaus möglich, dass Landesverkehrsminister Hermann bei seinem Engagement für den Regionalbahnhof S-Vaihingen den zukünftigen Baustopp bzw. Teilbaustopp für das Projekt Stuttgart 21 bereits berücksichtigt hat.           


 

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