Donnerstag, 29. November 2012

Stuttgarter S-Bahn zu Schattendasein verurteilt dank Stuttgart 21

Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2012 werden im Verlauf der Stuttgarter S-Bahn zwei neue Strecken eröffnet. Dies sind die Verlängerung der S4 von Marbach nach Backnang sowie die S60 von Böblingen nach Renningen. Ist damit alles in Butter mit der Stuttgarter S-Bahn?

Die Eröffnung zweier neuer Strecken im Verlauf der Stuttgarter S-Bahn darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stuttgarter S-Bahn eines der großen Sorgenkinder unter den S-Bahnnetzen in Deutschland ist. Und maßgebend hierfür ist in erster Linie das Projekt Stuttgart 21. 

Bevor wir hierauf näher eingehen, wollen wir die Stuttgarter S-Bahn einmal bewerten. Und das ist am besten dadurch möglich, dass man die Stuttgarter S-Bahn mit einem anderen S-Bahnnetz vergleicht. Hierzu wählen wir die Münchner S-Bahn. Die nachfolgend genannten Daten stammen aus der wikipedia.


Nun ist die Landeshauptstadt München mehr als doppelt so groß wie die Landeshauptstadt Stuttgart. Das ist aber für eine Bewertung des S-Bahnnetzes nur von untergeordneter Bedeutung. Denn die S-Bahn ist ein Verkehrsmittel für die Region. Die Einzugsgebiete der jeweiligen S-Bahnnetze haben die folgende Einwohnerzahl:
  • Einzugsgebiet S-Bahn Stuttgart: 2,6 Millionen Einwohner
  • Einzugsgebiet S-Bahn München: 2,6 Millionen Einwohner
Das ist auf den ersten Blick verblüffend. Beide Regionen haben also in etwa gleich viele Einwohner. Das kommt daher, dass in der Region München das Umland um München herum wesentlich weniger Einwohner hat als in der Region Stuttgart das Umland um Stuttgart herum.

Die Daten zu den S-Bahnnetzen lassen aufhorchen
Kommen wir nun zu einigen Daten der beiden S-Bahnnetze. Fangen wir mit der Netzlänge an, wobei wir bei der Netzlänge der Stuttgarter S-Bahn die beiden Neueröffnungen am 9. Dezember 2012 bereits dazurechnen.
  • Netzlänge S-Bahn Stuttgart:  217 Kilometer
  • Netzlänge S-Bahn München: 442 Kilometer
Als weitere wichtige Kennziffer wählen wir die Zahl der Fahrgäste pro Werktag.
  • Fahrgäste pro Werktag S-Bahn Stuttgart: 340.000
  • Fahrgäste pro Werktag S-Bahn München: 780.000
Fassen wir zusammen: trotz gleicher Ausgangslage (Zahl der Einwohner) liegen Welten zwischen den S-Bahnnetzen in Stuttgart und in München. Die Münchner S-Bahn hat ein mehr als doppelt so großes Netz wie die Stuttgarter S-Bahn und sie befördert mehr als doppelt so viele Fahrgäste wie die Stuttgarter S-Bahn.

Die erfolgreiche Münchner S-Bahn wird weiter massiv ausgebaut
Aber dabei bleibt es nicht. Es ist nicht nur so, dass die Münchner S-Bahn viel, viel erfolgreicher ist als die Stuttgarter S-Bahn. Man legt in München auch Wert darauf, dass sich die S-Bahn stets weiterentwickelt und immer mehr Fahrgäste transportieren kann. Neben dem immer weiter voranschreitenden viergleisigen Ausbau von Bahnstrecken und der Einrichtung zusätzlicher Haltepunkte war die wichtigste diesbezügliche Maßnahme bisher, dass durch die Einrichtung eines neues Signalsystems die Zugfolgezeit auf der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Pasing und Leuchtenbergring auf 30 Züge pro Stunde und Richtung erhöht wurde (Stuttgart 24 Züge).

Aber auch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange beim Ausbau der Münchner S-Bahn. Die Zahl der Fahrgäste hat inzwischen solche Größen erreicht, dass der Bau einer zweiten Stammstrecke in der Münchner Innenstadt erforderlich wird. Nach langen Verhandlungen über die Finanzierung dieser zweiten Stammstrecke wurde erst vor wenigen Tagen der endgültige Durchbruch zum Bau geschafft. Die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München wird somit zwischen 2014 und 2020 im Bau sein. Nach der Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke wird es möglich werden, auf allen Außenstrecken der S-Bahn mehr Züge fahren zu lassen. Zudem wird es möglich sein, Express-S-Bahnen zu fahren, die nur an ausgewählten Haltepunkten anhalten und somit schneller vorankommen.

Bei der Stuttgarter S-Bahn verläuft die Entwicklung entgegengesetzt. Das seit dem Jahr 1994 bzw. hinter den Kulissen schon einige Jahre früher wie ein Bleiklotz auf der Region Stuttgart lastende Projekt Stuttgart 21 verhindert nun schon seit ca. 20 Jahren eine nennenswerte Weiterentwicklung der Stuttgarter S-Bahn.

Aber es kommt noch schlimmer. Es ist ja nicht nur so, dass die Stuttgarter S-Bahn nun schon seit 20 Jahren auf der Stelle tritt. Die vorbereitenden Arbeiten für Stuttgart 21 haben die Krankheit der Stuttgarter S-Bahn verschlimmert. Das fing damit an, dass im Rampenbereich beim Hauptbahnhof ein wichtiges Signal abgebaut wurde und darauf während mehrerer Monate die Zugfolge im Verlauf der Stammstrecke ausgedünnt werden musste. Das ging dann weiter, dass in der Tunnelrampe ein Gleis rückgebaut wurde und es dadurch dauerhaft zu Engpässen kommt. Und diese Verschlimmerung der Situation hat nun ihren vorläufigen Höhenpunkt erreicht mit der Sperrung von Gleisen im Kopfbahnhof wegen mehrfacher Zugentgleisungen. Dadurch steht dem S-Bahnnetz ein wichtiger Ausweichbahnhof bei Störungen und größeren Verspätungen nicht mehr zur Verfügung. Eine weitere Abnahme der Pünktlichkeit im S-Bahnnetz ist die Folge.

Würde S21 gebaut, könnte man der Stuttgarter S-Bahn Gute Nacht sagen
Würde Stuttgart 21 gebaut, würde der bereits erreichte vorläufige Höhepunkt der Betriebskrankheit der S-Bahn weiter verschlimmert und auf Dauer festgezurrt. Dann stünde die S-Bahn nach Meinung wichtiger Fachleute vor dem Kollaps. Dann würde die Region Stuttgart zum Los Angeles Deutschlands werden, also zu einer Region, die in der Hauptsache auf das Auto angewiesen ist. Auch die für die ferne Zukunft geplanten weiteren Ausbauten des Stuttgarter S-Bahnnetzes lassen sich ohne Stuttgart 21 viel besser umsetzen.

Die Verlängerung der S-Bahn von Plochingen nach Göppingen ist mit Stuttgart 21 nur eine halbe Sache. Denn der auf diesem Streckenabschnitt weiter und zukünftig sogar verstärkt stattindende Güterzugverkehr verhindert, dass die Bahnsteige der Haltepunkte auf die barrierefreie Höhe von 90 cm über Schienenoberkante angehoben werden können. Für die S-Bahnverlängerung nach Göppingen wäre es viel besser, man würde einen etappierbaren Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm vorsehen mit Umfahrungen der einzelnen Orte, die auch und gerade von den Güterzügen benutzt werden können. Dann würde für die S-Bahn auf der bestehenden Strecke das Paradies anbrechen.

Ähnlich verhält es sich mit der geplanten S-Bahnverlängerung von Bernhausen nach Neuhausen a.d.F. Ohne Stuttgart 21 könnte man in die Schienennetze des Filderraums eine  viel bessere Struktur bringen. Dann gäbe es die dringend benötigte Express-S-Bahn vom Flughafen entlang der Autobahn nach Wendlingen und weiter nach Plochingen. Der bestehende S-Bahntunnel vom Flughafen nach Bernhausen würde für die Stadtbahn umgerüstet. Die Stadtbahn wird dann nicht nur von Bernhausen nach Neuhausen verlängert, sondern sie würde nach dem Vorbild der Madrider Metrolinie 12 in einem Kreis den ganzen Filderraum erschließen und von Neuhausen über Wolfschlugen, Harthausen, Bonlanden, Plattenhardt, Stetten und Echterdingen nach Leinfelden fahren. Für diesen ganzen Filderraum ist die kleinere und wendigere Stadtbahn das wesentlich bessere Verkehrsmittel als die S-Bahn.

Verband Region Stuttgart hat sich um die S-Bahn keine Verdienste erworben
Wenn man über die Misere des Stuttgarter S-Bahnnetzes spricht, kommt man am Verband Region Stuttgart nicht vorbei. Denn der Verband Region Stuttgart ist nun einmal seit seiner Gründung im Jahr 1994 für die Stuttgarter S-Bahn zuständig. Ein Ruhmesblatt ist es nicht, was sich der Verband diesbezüglich bisher geleistet hat. Man hat vielmehr den Eindruck, als wäre die Hauptaufgabe des Verbands, für Stuttgart 21 Propaganda zu machen. Und auch wenn man dies nicht nachweisen kann, so bleibt doch der Verdacht, dass die damalige CDU-Landesregierung den Verband Region Stuttgart nur deshalb geschaffen hat, um einen weiteren willfährigen Partner für die Umsetzung von Stuttgart 21 zu bekommen.

Die Münchner S-Bahn wird von der bayerischen Staatsregierung betrieben und ausgebaut. Und sie hat Erfolg damit. Deshalb geht hier noch einmal der Appell an die Landesregierung von Baden-Württemberg, die Zuständigkeit für die Stuttgarter S-Bahn wieder vom Verband Region Stuttgart wegzunehmen und selbst wahrzunehmen. Denn weitere 20 Jahre lassen wir Bürger der Region Stuttgart uns den S-Bahn-Stillstand und die S-Bahn-Krankheit nicht gefallen.                             

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