Sonntag, 22. April 2012

Neue Erkenntnisse zur Neubaustrecke nach Ulm sollten Anlass für Denk- und Baupause sein

Zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sowie zum Hauptbahnhof in Ulm gab es in der vergangenen Woche mehrere neue Erkenntnisse. Dies sollte man als Anlass und letzten Wink mit dem Zaunpfahl begreifen, um bei der Planung und beim Bau der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sowie bei Stuttgart 21 eine Denkpause einzulegen.

Zum einen wurde ein Papier der Bahn publik, nach dem sich die Fertigstellung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm bis mindestens Ende 2021 verzögert. Eine weitere Verzögerung um mehrere Jahre wird nach einem internen Projekt-Dossier der DB bereits erwartet. (Bericht der Frankfurter Rundschau vom 20.04.2012).

Dann wurde bekannt, dass die Bahn die Ausbauplanung des Ulmer Hauptbahnhofs merklich reduziert hat. Der Bau zweier geplanter Bahnsteiggleise wurde storniert. Begründet wurde dies mit einem prognostizierten Rückgang des Güterverkehrs um 41 Züge pro Tag, das entspricht 21 Prozent. (Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom 20.04.2012).

Beide neuen Sachverhalte sind geeignet, die Projekte Stuttgart 21 und Wendlingen-Ulm zu stoppen.



Gehen wir näher auf die einzelnen neuen Punkte ein.

1. Rückgang des Güterverkehrs
Aus den verfügbaren Informationen geht nicht hervor, ob sich der prognostizierte Rückgang des Güterverkehrs nur auf die herkömmlichen Güterzüge oder auch auf die sogenannten Leichtgüterzüge (bisher sind diese Güterzüge nur ein Phantom) bezieht, die im Verlauf der Neubaustrecke fahren sollen. 

Was auch immer jetzt zutrifft, es wäre eine Katastrophe und es wäre geeignet, die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zu stoppen. Sofern sich der prognostizierte Rückgang der Zahl der Güterzüge auch oder ausschließlich auf die Leichtgüterzüge bezieht, wäre der Nutzen-Kosten-Faktor der Neubaustrecke spätestens jetzt auch auf dem Papier kleiner als eins (die Kosten überschreiten die Nutzen). Ohne die Anwendung von Rechentricks ist der Nutzen der Neubaustrecke allerdings seit jeher nicht gegeben. Eine Neubaustrecke, die keinen adäquaten Nutzen bringt, darf jedoch nicht gebaut werden. Da Stuttgart 21 jedoch ohne die Neubaustrecke nicht funktioniert, ist auch der Bau von Stuttgart 21 umgehend einzustellen.

Aber auch die andere Variante beim Rückgang des Güterzugverkehrs wäre nicht unbedingt geeignet, den Weiterbau der Neubaustrecke und von Stuttgart 21 zu befördern. Denn ein weiterer Rückgang des herkömmlichen Güterverkehrs auf der Filstalstrecke wäre eine Bankrotterklärung der Politik. Nun ist ja spätestens seit dem Sach- und Faktencheck zu S21 unter Heiner Geißler bekannt, dass der Güterverkehr auf der Filstalstrecke bereits in den vergangenen Jahren merklich zurückgegangen ist. Der Grund dafür liegt in der Geislinger Steige. Dieses Streckenelement stellt einen deutschlandweiten Sonderfall im Hauptgüterzugnetz der DB dar. Denn durchschnittlich lange Güterzüge benötigen für die Bergfahrt dort eine zweite Lok, eine Schiebelok. Diesen Aufwand scheuen viele private Güterverkehrsunternehmen. Und auch die DB wird sicher genaue Berechnungen anstellen, ob sie einen Güterzug über die Geislinger Steige oder nicht doch besser über eine andere Strecke schickt.

Das Eingeständnis eines erwarteten Rückgangs beim Güterzugverkehr im Bahnkorridor Stuttgart-Ulm seitens der Bahn ist ein untrügliches Zeichen an die Politik, dass mit den Ausbauplänen für diesen Bahnkorridor irgend etwas schief läuft. Jetzt gilt es, die Notbremse zu ziehen und eilnen etappierbaren Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm anzugehen, der neben dem Personenfernverkehr auch und vor allem dem Güterverkehr nutzt und in der Zukunft mehr Güter von der Straße auf die Schiene bringt. Und ein wichtiger Mosaikstein dieses Ausbaus ist ein 10 Kilometer langer Tunnel mit 10 Promille Steigung und einem Höhenunterschied von 100 Metern zur Umfahrung der Geislinger Steige.

2. Redimensionierung des Ausbaus des Ulmer Hauptbahnhofs
Der geplante Wegfall von zwei Bahnsteigen beim Ulmer Hauptbahnhof verunmöglicht dort die Einrichtung eines integralen Taktfahrplans mit einem halbstündlichen Treffen der Regionalzüge aus allen Fahrtrichtungen. Damit plant die Bahn, beim Ulmer Hauptbahnhof das fortzusetzen, was sie im Rahmen von Stuttgart 21 bereits beim Stuttgarter Hauptbahnhof im Schilde führt. Zu Gunsten eines hochteueren, für die Elite vorbehaltenen ICE-Fernverkehrs muss der Regionalverkehr zurückstecken. Um die extrem teuren ICE-Trassen zu finanzieren, muss jeder Euro aus dem Regionalverkehr zusammengeklaubt werden.

Vielleicht spüren jetzt einige Ulmerinnen und Ulmer, dass die Stuttgarterinnen und Stuttgarter durchaus Gründe haben, sich gegen Stuttgart 21 zu wehren. Und vielleicht findet - es ist ja schließlich nie zu spät - jetzt dann einmal ein Austausch und ein Bündis der Bürgerschaften von Stuttgart und von Ulm statt.

3. Verschiebungen des Inbetriebnahmetermins
Die Verschiebung des Inbetriebnahmetermins der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm um mehrere Jahre und direkt damit zusammenhängend die entsprechende Verschiebung des Inbetriebnahmetermins von Stuttgart 21 macht beide Projekte unwirtschaftlich - unabhängig von dem unter 1. genannten Sachverhalt.

Das weiß ja jeder private Bauherr. Wenn jemand ein Mietshaus baut und der Fertigstellungstermin des Mietshauses verschiebt sich um ein Jahr, dann kommt der Bauherr in große Schwierigkeiten. Und das gleich in dreifacher Hinsicht. Einmal verschiebt sich der Zeitpunkt, zu dem die ersten Mieteinnahmen fließen. Damit ist der Tilgungsplan Makulatur. Zum Zweiten müssen die bereits fertiggestellten Bauteile länger auf Kredit vorfinanziert werden. Und zum Dritten erhöhen sich durch die längere Bauzeit auch noch die Baupreise.

Beim genannten Beispiel wäre der Bauherr wohl pleite. Bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und damit zusammenhängend bei Stuttgart 21 verhält es sich um keinen Deut anders. Durch die mehrjährige Verschiebung der Fertigstellung fallen die ersten Nutzen später an. Die bereits fertiggestellten Bauwerke müssen mehrere zusätzliche Jahre vorfinanziert werden und die Baupreise steigen in den zusätzlichen Baujahren ins Astronomische. Im Fall von S21 kommt noch hinzu, dass die Bahn ab 2019 Zinsen für die Nichtfreigabe der Grundstücke im Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs zahlen muss. Daraus folgt unmittelbar, dass der Nutzen-Kosten-Faktor bei beiden Projekten unter 1 sinkt. Und daraus folgt ebenfalls, dass die festgelegte Kostenobergrenze bei beiden Projekten nicht nur ein wenig, sondern beträchtlich überschritten werden wird.

Fazit
Die jetzt bekanntgewordenen neuen Fakten zur Neubaustrecke Wendlingen - Ulm bedeuten unmittelbar das Aus sowohl für die Neubaustrecke als auch für Stuttgart 21. Das wird sich allerdings die Politik noch nicht sofort eingestehen. Um nicht wiedergutzumachenden Schaden von Baden-Württemberg und von der Bahn abzuwenden, ist es jetzt erforderlich, eine Denk- und Baupause bei beiden Projekten einzulegen. Während dieser Pause sollte man sich dann mit den in vielfacher Ausführung vorliegenden qualifizierten Alternativen zu Stuttgart 21 und zur Neubaustrecke Wendlingen - Ulm befassen.

In diesem Blog bleiben wir an der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm dran. Im folgenden Post wird gezeigt, warum die Neubaustrecke ein Projekt aus dem letzten Jahrhundert ist. Und im übernächsten Post vergleichen wir einmal die Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts fertiggestellte Hochgeschwindigkeitsstrecke Mannheim - Stuttgart mit der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm. Und hierbei werden wir einige überraschende Feststellungen machen.            
      

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