Samstag, 17. Dezember 2011

VGH-Urteil zeigt Unzulänglichkeiten im Planungsverfahren von Großprojekten

Am gestrigen 16. Dezember 2011 hat der VGH-Mannheim einen Baustopp für das Grundwassermanagement des Tiefbahnhofs von Stuttgart 21 erlassen. Der VGH gab damit einer Klage des BUND recht. Der BUND hat gegen eine Planänderung beim Grundwassermanagement geklagt mit der Begründung, dass der BUND im Vorfeld dieser Planänderung nicht gehört worden ist sowie dass artenschutzrechtliche Belange (z.B. Schutz des vom Aussterben bedrohten Juchtenkäfers) nicht berücksichtigt worden sind. Damit ruhen jetzt die Bauarbeiten beim Grundwassermanagement bis auf weiteres - möglicherweise für die Dauer eines Jahres.



Nun ergibt sich in Bezug auf den gestern ausgesprochenen Baustopp am Grundwassermanagement ein deja-vu-Erlebnis. Gab es diesen Baustopp nicht schon einmal? Und tatsächlich hat der VGH Mannheim bereits am 06.10.2011 einen vorläufigen Baustopp ausgesprochen, indem er der Klage des BUND eine aufschiebende Wirkung attestiert hatte (siehe den Post vom 07.10.2011). Ca. vier Wochen danach wurde jedoch dieser Baustopp durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) wieder aufgehoben, indem dieses Amt den Sofortvollzug der Bauarbeiten anordnete mit der Begründung, dass der Fortgang der Arbeiten am Grundwassermanagement im öffentlichen Interesse liege.

Dieser Vorgang mag formaljuristisch in Ordnung sein. Man muss jedoch fragen, ob die dem EBA obliegenden Kompetenzen wirklich sinnvoll sind oder ob man die Regeln für die Planung und Durchsetzung von Großprojekten nicht ändern muss. 

Zunächst einmal  fällt auf, dass sich das EBA mit der Anordnung des Sofortvollzugs gegen den VGH gestellt hat. Die Attestierung einer aufschiebenden Wirkung für die Klage des BUND durch den VGH am 06.10.2011 war zwar noch nicht das Hauptsacheverfahren. Jedoch deutet die aufschiebende Wirkung darauf hin, dass das vom BUND vorgetragene Anliegen beim VGH sehr wohl auf offene Ohren stößt und dass dieses Anliegen dem VGH wichtig genug ist, dass zunächst einmal keine weitere Tatsachen geschaffen werden. Wenn eine Klage vom VGH eine aufschiebende Wirkung attestiert bekommen hat, ist die Wahrscheinlichkeit größer als 50 Prozent, dass im späteren Hauptsacheverfahren zumindest teilweise im Sinne des Klägers entschieden wird. Von daher hätte das EBA den Sofortvollzug nicht anordnen dürfen. Denn ein Weiterbau unter diesen Umständen kann dazu führen, dass Investitionsmittel unnötig verbraucht werden.

Auch die Begründung des EBA für den Sofortvollzug - das öffentliche Interesse am Weiterbau - ist doch sehr fraglich. Wer soll denn ein Interesse daran haben, dass ein gut funktionierender Bahnknoten im Rahmen des größten Infrastruktur-Rückbaus in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einem Engpass von deutschlandweiter Bedeutung rückentwickelt wird? Und ist es im Interesse der Öffentlichkeit, wenn in Stuttgart mit massiven Finanzmitteln, die anderswo fehlen, ein achtgleisiges, schräges, enges und mit viel zu wenigen Zufahrtsgleisen (Stichwort Zufahrt Zuffenhausen) ausgestattetes Bahnhöfle gebaut wird? Und wer zieht einen Nutzen daraus, wenn auf den Fildern beim Flughafen mit zwei weit auseinanderliegenden Bahnhöfen, mit eingleisigen Strecken und höhengleichen Kreuzungen die Fahrgäste eher abgeschreckt als angezogen werden? Wem dient es, wenn durch die teuren Kunstbauten bei Stuttgart 21 die späteren Bahnhofs- und Trassengebühren so hoch werden, dass das Land weniger Regionalzüge bestelllen kann und dass die Fahrpreise in die Höhe schnellen? Und in wessen öffentlichem Interesse ist es, wenn mitten in Stuttgart das viele Jahrzehnte lang weitgerühmte "Grüne U" im Bereich des Mittleren Schlossgartens zerstört wird?

Es mag einzelne Profiteure geben. Aber ob all dies im Interesse der Öffentlichkeit ist, bleibt das Geheimnis des EBA. Ist es richtig, dass das EBA bei solch komplexen Projekten wie Stuttgart 21 entscheiden darf, was im Interesse der Öffentlichkeit liegt?

Nun kommen irgendwelche Änderungen beim Planungsrecht von Großprojekten für Stuttgart 21 zu spät. Für Stuttgart 21 bleibt nur die Variante, das Projekt gerichtlich zu stoppen. Und diesbezüglich sieht es ganz gut aus. Der jetzt erfolgte Baustopp beim Grundwassermanagement wird nur der Anfang sein. Es wird Klagen gegen weitere Gewerke und Teilabschnitte geben. Durch die im nächsten Jahr zu erwartende Klage der Stuttgarter Netz AG gegen die Stilllegung des oberirdischen Kopfbahnhofs und seiner Zuläufe steht die gesamte Finanzierung von Stuttgart 21 mit ihren Grundstücksverkäufen auf der Kippe. Schließlich wird man bei dem (noch nicht einmal begonnenen) Planfeststellungsverfahren für den Stuttgart21-Abschnitt beim Flughafen nicht nur die in diesem Blog schon mehrfach thematisierten Unzulänglichkeiten gegebenenfalls anklagen. Es wird dann auch zum ersten Mal möglich sein, den Leistungsnachweis für den bestehenden Kopfbahnhof sowie die nachgewiesenen Unzulänglichkeiten beim sogenannten Stresstest für Stuttgart 21 in das Verfahren einzubringen.

Bei den bereits gelaufenen Planfeststellungsverfahren war dies noch nicht möglich. Damals war weder die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs bekannt noch der Umstand, dass die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs größer ist als die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21. Und es war noch nicht bekannt, dass die praktische Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs bei Stuttgart 21 weit unter den Werten liegt, die jahrlang immer wieder behauptet worden sind ("Verdoppelung gegenüber dem Kopfbahnhof"). Somit wird dann der Fall eintreten, dass Stuttgart 21 insgesamt wieder auf den Prüfstand kommt und in Frage gestellt wird. Es wird also weiterhin interessant bleiben. Das Tragische an der ganzen Sache ist nur, dass jeder weitere Tag und Monat, in dem noch an Stuttgart 21 festgehalten wird, einen sinnvollen Ausbau des Bahnknotens Stuttgart und eine sinnvolle Stadtentwicklung weiter nach hinten schiebt.                         

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