Samstag, 5. Februar 2011

Der Werbe-Rohrkrepierer der CDU, Teil 8

Jetzt ist langsam Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Nein, leider noch nicht beim Projekt Stuttgart 21. Das lastet immer noch über der Stadt und dem Land. Aber mit den zehn Argumenten in der CDU-Broschüre gegen das Konzept eines etappierbaren, bedarfsgerechten Ausbau des Bahnknotens Stuttgart auf der Basis des bestehenden Kopfbahnhofs (K21) sind wir bald durch. Möglicherweise haben die meisten Menschen, die diese Broschüre in ihren Briefkästen gesehen haben, sie schon längst in die Mülltonne geworfen. Auch ich habe den Eindruck, dass sich die mir vorliegende Broschüre immer mehr in Luft auflöst. Vielleicht kann ich mir demnächst das Entsorgen ersparen.

Heute geht es um den Punkt 1 der CDU-Broschüre, betitelt mit "Hauptbahnhof".



Zum Projekt K21 wird hier eingewendet, dass Hauptbahnhof und Gleisvorfeld grundlegend und sehr aufwändig saniert werden müssten. Nun ist es sicher richtig, dass beim Hauptbahnhof ein Sanierungsstau besteht. Der Sanierungsstau besteht jedoch in erster Linie deshalb, weil wegen des Projekts Stuttgart 21 seit mehr als 15 Jahren nichts mehr in den Hauptbahnhof investiert worden ist. Das Geld, das eigentlich in den Hauptbahnhof hätte investiert werden müssen, ist in anderen Bundesländern investiert worden. Dort kann man jetzt modernisierte Bahnhöfe besichtigen. Dies ist auch vor dem Hintergrund der Mappus-Neid-Kampagne interessant, wonach die Baden-Württemberger zu viel Geld an andere Bundesländer geben würden.

Und das Gleisvorfeld wird ja gerade für das Projekt Stuttgart 21 aufwändig saniert. Denn im Rahmen dieses Projekts werden die Bahnsteige während der Bauzeit des Tiefbahnhofs um 100 Meter von den Prellböcken wegverschoben. Das bedingt den komplexen Umbau des Gleisvorfelds. Dieser Umbau ist so komplex, dass - wie jetzt gerade aktuell - ganze Tage lang keine Fernzüge den Hauptbahnhof anfahren können. Und über Monate hinweg war der S-Bahnverkehr stark gestört. Viele S-Bahnen konnten nicht planmäßig verkehren. Hinzu kommt, dass beim Projekt Stuttgart 21 das Gleisvorfeld zwar saniert werden muss, nach einer eventuellen Fertigstellung des Projekts in 15 bis 20 Jahren würde das sanierte Gleisvorfeld jedoch wieder abgerissen. Beim Konzept K21 ist das in die Sanierung des Gleisvorfelds investierte Geld nicht umsonst. Die Investition bleibt dauerhaft erhalten.   

Weiter wird in der CDU-Broschüre beklagt, dass die Arbeiten an den Gleisen beim Konzept K21 auch während der Nacht und am Wochenende erfolgen. Man fragt sich manchmal, wo diese CDU-Wahlkampfbroschürenautoren eigentlich wohnen. Wird denn nicht wegen Stuttgart 21 nun bereits seit Jahren im Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs gearbeitet - vorwiegend nachts und am Wochenende?

Dann heißt es weiter, dass bei K21 mehrere neue Kreuzungsbauwerke und mindestens ein neuer Tunnel errichtet werden müssten. Oh mein Gott, wieviele Tunnels müssten denn für das Projekt Stuttgart 21 errichtet werden? Die Bauzeit für K21, so wird konstatiert, sei mit 10 bis 15 Jahren sehr lange. Ja ist denn die Bauzeit für Stuttgart 21 mit 15 bis 20 Jahren nicht erst recht lange? Und wie lange bliebe denn das Gleisvorfeld nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 eine Wüste und später eine Bauwüste? Ich schätze, dass beim Projekt Stuttgart 21 vor dem Jahr 2060 das Gleisvorfeld nicht fertigbebaut sein würde. Woher diese Prognose? Sie stammt aus Erfahrungswerten. Güterbahnhofgelände Bad Cannstatt, Bebauung des Killesbergs, Pragsattel usw. Es gibt nun wirklich genügend Beispiele in Stuttgart, die zeigen, wie schnell bzw. wie langsam die Bebauung von freigeräumten Flächen oder Brachflächen vor sich geht und wie die diesbezüglich genannten Termine Jahr um Jahr verschoben werden.  

Fast alle Bewohner der Stuttgarter Innenstadt sind gegen Stuttgart 21. Das hält die CDU nicht davon ab, sich auch noch zum Anwalt der Bewohner der Innenstadt zu machen. Sie wären, so wird behauptet, bei K21 während der Bauzeit stark belastet, der Bahnbetrieb empfindlich gestört. Brauchen wir auf dieses plumbe Gerede überhaupt noch einzugehen? Den meisten Bewohnern der Innenstadt sind die aus dem Projekt Stuttgart 21 resultierenden ungeheuren Belastungen sehr wohl bekannt. Und beim Konzept K21 muss man zwischen den Modernisierungsinvestitionen und den Erweiterungsinvestitionen unterscheiden. Die Erweiterungsinvestitionen (z.B. fünftes und sechstes Gleis nach Bad Cannstatt) sind ungleich kleiner als die Tunnelinvestitionen bei Stuttgart 21. Und was die Modernisierungsinvestitionen (Sanierung Gleise usw.) betrifft, so ist dies sowieso eine Daueraufgabe. Auch Straßen müssen regelmäßig instandgehalten und saniert werden. Warum soll dies bei den Gleisanlagen anders sein?

Jetzt kommt aber der Knaller in der CDU-Broschüre. Jetzt wird für Stuttgart 21 geworben. Da heißt es, der neue Bahnhof wird für moderne Bahnhofsarchitektur wegweisend sein. Man sollte es nicht glauben. Diese U-Haltestelle soll moderne Bahnhofsarchitektur sein? Es gibt in Europa genügend moderne Bahnhofsarchitektur zu bestaunen. Selbst der oberirdische Teil des neuen Berliner Hauptbahnhofs gehört mit Abstrichen noch dazu. Aber gewiss nicht der Stuttgart 21-Durchgangs-Tunnelbahnhof. Ein Alleinstellungsmerkmal Stuttgarts kann nur dadurch geschaffen werden, dass der historische Kopfbahnhof modernisiert wird.

Die stadtbildprägenden Teile des Bonatzbaus bleiben erhalten, so behauptet die CDU weiter. Nun steht aber der Bonatzbau in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz, einschließlich der Seitenflügel. Lassen wir uns von der CDU sagen, welche Teile des Denkmals erhalten bleiben sollen und stadtbildprägend sind?

Stuttgart hat in der Nachkriegszeit sehr viel mehr als viele andere Städte auch noch diejenigen historischen Gebäude plattgemacht, die nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg übriggeblieben sind. Das könnte man allenfalls dann mit einem Achselzucken abtun, wenn an Stelle der alten, historischen, denkmalgeschützten Gebäude neue, identitätsstiftende, urbane Gebäude entstanden wären oder entstehen. Das war und ist leider weitgehend nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, auch nur ein weiteres denkmalgeschütztes Gebäude abzureisen.

Bei Stuttgart 21 wäre der verbleibende Rest des Hauptbahnhof-Bonatzbaus eine funktionslose, in der Gegend herumstehende Hülle, das Gegenteil eines Gebäudes. Die hinter dem Bahnhof entstehende Fläche mit ihren eng beieinder liegenden emporgehobenen Glasaugen ist das Gegenteil eines urbanen Platzes. Und der bestehende Park würde auch noch zerstört. 

Übrig bliebe ein urbanes Nichts, kein Gebäude, kein Platz, kein Park. Der Wind fegt fallengelassene Zeitungen und Essensreste zwischen den Stein- und Glasflächen durch. Irgendwo probieren vielleicht Jugendliche ihre neuesten Skateboards aus (oder was in 15 bis 20 Jahren auch immer modern sein mag). Es herrscht Endzeitstimmung. 

Mag sein, dass dies in 20 Jahren manchen Bürgerinnen und Bürgern von Baden-Württemberg egal sein wird. Sollte dieses Land seine Exportstärke behalten, hat man ja das Geld, an den Wochenenden oder im Urlaub der Tristesse zu entfliehen und mit dem Billigflieger nach Vendig, Barcelona oder London zu jetten, also dorthin, wo noch wirkliche Urbanität zu Hause ist. Aber abgesehen davon, dass sich dies trotz Exportstärke bei weitem nicht jeder leisten kann, ist dieses Freizeitverhalten auch alles andere als nachhaltig - und hat damit keine Zukunft. Die Zukunft für die Bürgerinnen und Bürger von BW kann nur hier stattfinden. Und es ist gut, dass viele Menschen zur Zeit ihr Recht einfordern, über diese Zukunft mitzubestimmen.

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