Donnerstag, 9. September 2010

Magistrale Paris - Bratislava: gibt es sie wirklich?

Die Betreiber der Projekte Stuttgart 21 und Wendlingen - Ulm verweisen immer wieder auf die EU-weite Bedeutung der beiden Vorhaben. Sie seien Bestandteil der transeuropäischen Netze sowie der Strecke Paris - Bratislava oder sogar Paris - Athen. Von daher gäbe es für Deutschland und für die Region Stuttgart eine Verpflichtung, Stuttgart 21 sowie Wendlingen - Ulm zu bauen.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es die immer wieder beschworene Magistrale Paris - Bratislava eigentlich gar nicht gibt und auch in der Zukunft nicht geben wird.

Denn nur in Frankreich auf der Strecke Paris  - Straßburg werden diejenigen Kennzahlen erreicht, die für eine richtige Magistrale Paris - Bratislava erforderlich sind. Dort fährt der TGV die über 400 km lange Strecke von Paris nach Straßburg mit max. 320 km/h ohne Halt in 2 Stunden 17 Minuten und in einigen Jahren sogar in weniger als 2 Stunden.

Wenn man weiter nach Osten, also nach Deutschland, nach Österreich, in die Slowakei oder nach Ungarn kommt, ändern sich die Randbedingungen beim Bahnverkehr drastisch. 



Würde man die Charakteristika der Strecke Paris - Straßburg nach Osten fortsetzen, müsste der TGV bzw. ICE zwischen Straßburg und Stuttgart auf einer neuen Direttissima (Schwarzwald-Basistunnel) ohne Halt fahren und damit südlich an Karlsruhe vorbeifahren. Genauso müsste der ICE zwischen Stuttgart und München auf einer neuen Direttissima ohne Halt fahren, also nördlich an Ulm vorbei und südlich an Augsburg vorbei. Und in gleicher Weise müsste der ICE zwischen München und Wien auf einer neuen Direttissima ohne Halt fahren, also nördlich an Salzburg vorbei und südlich an Linz vorbei.

Das wird jedoch in dieser Weise nie kommen. Denn die neuen Strecken ("Direttissima") wären in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis indiskutabel. Zudem würden sich alle - aber wirklich ausnahmslos alle - Regionen, an denen der ICE dann vorbeifahren würde, mit Händen und Füßen dagegen wehren.

Die Bahnsysteme in Frankreich und in Deutschland bzw. Österreich sind nun einmal grundverschieden. In Frankreich konzentriert sich der TGV immer mehr darauf, den Flugverkehr innerhalb des Landes zu übernehmen. Dazu muss der TGV sehr schnell sein und möglichst wenig halten. Dafür gibt es in Frankreich so gut wie keine Flächenbahn mehr. 

In Deutschland gibt es die Flächenbahn noch in den Grundzügen. Und die Politik - so zumindest hoffen wir -, sowie die Bevölkerung wollen die Flächenbahn erhalten und ausbauen. Auch bei einem Bau von Stuttgart 21 sowie der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm werden diese großen Unterschiede zwischen den Bahnnetzen in den einzelnen Ländern erhalten bleiben.

Wegen des kleinen Bahnhofsabstands von 50 bis 100 km beim ICE sowie wegen der nicht geraden Linienführung wird der ICE in Deutschland somit nie in der Lage sein, auf der Relation Paris - Bratislava - Athen Verkehrsleistungen vom Flugzeug zu übernehmen.

Ein milliardenschwerer Neubau der Strecke Wendlingen - Ulm im Rahmen der transeuropäischen Netze ist somit nicht zielführend und eine riesige Geldvernichtung. In diesem Zusammenhang muss man auch berücksichtigen, dass es für die viele längere und einfacher zu trassierenden Strecken Ulm - Augsburg - München - Salzburg bis jetzt überhaupt noch keine Ausbaupläne für eine Schnellbahn gibt.

Statt dessen sollte sich die Bahn in Deutschland darauf konzentrieren, für die überwältigende Mehrzahl der Verkehrsnachfrage eine Alternative darzustellen - und die überwältigende Mehrzahl der Verkehrsnachfrage findet innerhalb der Regionen sowie zwischen den Regionen statt.    

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